„Nehmen Schwierigkeiten, die durch das Alter entstehen zu, gibt es zumeist einen Lebensabschnitt, in dem mit etwas Hilfestellung von außen die selbstständige Lebensweise im eigenen häuslichen Umfeld in gleichbleibender Lebensqualität beibehalten werden kann. Wenn allerdings auf einer Ebene Hemmnisse bestehen, sich Unterstützung zu suchen, wird die Hilfsbedürftigkeit von selbstständig lebenden Senior*innen oft nicht gesehen.“
In der Gemeinde Steinhagen unterstützt „LIANE - Lebenshilfe im Alltag neu entfalten“ Menschen ab 67 Jahren dabei eine größtmögliche Selbstständigkeit bewahren zu können und Einsamkeit und sozialer Isolation vorzubeugen.
Frau Broschat-Bohnenkamp macht sich bei Fragen rund um die verschiedensten Lebenslagen mit jedem Bürger oder jeder Bürgerin individuell auf die Suche nach einer passenden Antwort oder leitet auf Wunsch an eine passende Stelle weiter.
Aktionswoche für´s Miteinander - Interview mit Renate Kampmann
Interview mit Renate Kampmann
geführt von Birgit Kunisch (Leitung Haus der Begegnung, ev. Kirche Sthg.) und Denise Broschat-Bohnenkamp (Projekt LIANE, Gemeinde Steinhagen) im Rahmen von STEINHAGENs Aktionswoche für´s MITEINANDER vom
17.-21. Juni 2024B: Liebe Renate, wir freuen uns sehr, dass Du Dich bereit erklärt hast für dieses Interview rund um das Thema Miteinander. Stell Dich doch erst einmal in 2 bis 3 Sätzen vor.
R: Ich bin Renate Kampmann, Ur-Steinhagenerin und inzwischen 73 Jahre. In der Vergangenheit habe ich im Rahmen für die IWS und die AGS viel ehrenamtlich für die Gemeinde mitgemacht, beispielsweise den Weihnachtsmarkt in Steinhagen geleitet. Und auch hier im Haus der Begegnung (Begegnungsstätte) habe ich immer gern etwas mit gemacht für Andere. Das war so meine Intention.
D: Wir erleben Dich und deine ehrenamtlichen Mitstreiter ganz engagiert beim Zubereiten des Gemeinsamen Mittagessen. Sei es, dass die Deko abgestimmt ist zum thematischen Essen oder ihr es gut im Griff habt, für eine große Menge Menschen zeitgleich das Essen zu servieren. Könntest du für diejenigen, die das Gemeinsame Mittagessen noch nicht kennen, dieses bitte einmal beschreiben?
R: Gerne. Wir freuen uns über jeden der kommt! Ob jung oder alt, da sind wir ganz offen. Man kann allein kommen oder zusammen mit Freunden. Im jeweiligen Jahr davor überlegen wir immer schon mit den drei Kochteams, was wir für jeden Monat anbieten werden. Das kann man im Heft vom Haus der Begegnung nachlesen. Das jeweilige Kochteam bereitet das für sich vor. Einer hat den Hut auf und nimmt die Anmeldungen entgegen. Es wird besprochen, wer was einkauft oder welche Deko es geben soll. Alle Kochteams sind mit ganz viel Herzblut dabei. Es macht uns große Freude und wir sind glücklich, wenn wir zwischen 40 und 50 Besucher bekochen dürfen.
D: Das ist schon eine Menge. Muss man Sternekoch sein, um bei euch mitmachen zu können?
R: Nein, das muss man überhaupt nicht. Nur ganz viel Freude am Kochen haben und in der Gemeinschaft etwas für Andere zu machen. Das ist alles was man mitbringen sollte.
B: Wie ist das gemeinsame Mittagessen entstanden und seit wann genau machst du persönlich mit?
R: Also das Haus der Begegnung ist 1995 eröffnet worden und damals hatte mich der damalige Pfarrer Hans-Jürgen Luckau, angesprochen, ob ich mitmachen würde. In einem Gremium haben wir uns dann Gedanken gemacht, wie man das Haus mit Leben füllen kann. Ein wichtiger Aspekt war, dass man soziale Kontakte knüpfen sollte. Und das kann man am besten beim Mittagessen, Kaffeetrinken oder Spielenachmittag. Dann kam uns der Gedanke, wer kann bodenständig kochen? – Da fielen uns sofort die Landfrauen ein! Die waren auch direkt bereit mitzumachen. Das erste Mittagessen war der westfälische Grünkohl im Herbst. Und im darauffolgenden Jahr war ich mit dabei. Dann haben wir begonnen zu überlegen zu welchem Motto gekocht werden soll. Beispielsweise musste es Gründonnerstag ja immer etwas Grünes zu essen geben. Da gab es dann z.B. das Rezept der Fitzebohnen, das ich von meiner Oma kannte und da hat sogar noch meine Mutter mitgekocht. Dann gab es das Thema Urlaubserinnerungen und ab dann standen die Marillenknödel auf dem Speiseplan. Eine Spezialität aus Österreich, die ich kennengelernt habe über die Freundin meiner Schwiegermutter. Die stammte aus Österreich und machte für uns immer diese herrlichen Mariellenknödel. Wir waren alle so begeistert davon, dass ich sie bat mir das unbedingt beizubringen. Und 1997 hat sie mit mir das erste Mal die Marillenknödel in der Begegnungsstätte zubereitet. Als die katholische Kirche 1998 gebaut wurde und ihnen keine Räumlichkeiten zur Verfügung standen, half die ev. Kirche aus und Irma Rosenow kam ins Haus der Begegnung. Schnell wollte Sie im Haus der Begegnung mitarbeiten und war mit im Konzeptionskreis. Als Sie von dem Angebot der Marillenknödel hörte, war sie sofort begeistert, da sie die selbst aus dem Urlaub kannte und man sie dort aber mit saurer Sahne aß. Das klang spannend, wurde ausprobiert und genau nach diesem Rezept machen wir die Marillenknödel bis zum heutigen Tag. Das ist immer der absolute Renner. Seit dem ersten Jahr ist das Marillenknödelessen immer ausgebucht gewesen, da wir kapazitätsmäßig bei 50 Personen am Ende sind. Von der Logistik her ist das leider nicht zu schaffen, da die Knödel nur frisch aus der Pfanne serviert werden können.
B: Marillenknödel für 50 Personen ist ja auch ein enormer Aufwand.
D: Auf dem Bild sieht man ja wie fleißig ihr die Knödel rollt.
R: Ja so 200 Marillen braucht man dann schon.
D: Was würdest Du sagen ist das Besondere am Gemeinsamen Mittagessen?
R: Also ich höre von einigen, die sich anmelden, dass sie sich schon wahnsinnig darauf freuen. Sie genießen nicht selbst kochen zu müssen, sich an den gedeckten Tisch setzen zu können und mit Leuten zu plaudern. Manche kommen dann extra schon eher, um noch ein Pläuschchen halten zu können.
Und von unserer Seite, also den Kochteams, haben wir auch wahnsinnig viel Spass. Wenn es doch auch sehr stressig ist, setzen wir uns im Anschluss, wenn alle nach Hause gegangen sind, zusammen und Essen auch gemeinsam. Wir freuen uns dann alles zusammen gemeistert zu haben.
B: Ja das schaut auch immer total schön aus, wenn man euch danach erlebt und ihr euch nochmal in Ruhe Zeit nehmt. In Bezug auf die Steinhagener Aktionswoche für´s Miteinander, an welchen Stellen, abgesehen vom gemeinsamen Mittagessen, würdest Du sagen geht es noch um Verbundenheit?
R: Ich glaube in allen Gruppen. Z.B. beim Filmcafé, da treffen sich die Menschen auch vorher zum Kaffee und man kommt über den Film ins Gespräch. Solche Dinge sind sehr schön für das Miteinander. Auch das Gartencafé oder die „Gruppe Spazierengehen“ oder die Gemeinschaft im jeweiligen Vorbereitungsteam oder oder… -einfach miteinander für andere etwas zu tun.
D: Im Grunde verbindet einen das gemeinsame Interesse z.B. zu kochen oder zu stricken.
B: Und etwas miteinander geschafft zu haben.
R: Ja genau!
D: Gibt es einen Moment, der Dir besonders in Erinnerung geblieben ist?
R: Oh ja, das Kochen für die Visitation. Hans-Jürgen Luckau hatte uns damals gefragt, ob wir uns das vorstellen könnten. Dann haben wir überlegt, was kann man tun und uns kam die Idee Besonderheiten aus dem Kirchenkreis der einzelnen Gemeinden zu kochen und anzubieten. Da sind sehr viele schöne Ideen entstanden, das hat ganz viel Spaß gemacht.
Und dann haben wir einmal Hans-Jürgen Luckau, der sich so engagierte, gefragt, was er sich mal zum Gemeinsamen Mittagessen wünschen würde - seine Antwort war „Nur Nachtisch“. Also haben wir das letzte Mittagessen im Jahr zum Dezember hin seinen Wunsch erfüllt und nur Nachtische zubereitet. Das Spannende war, dass zu diesem Termin viel mehr Männer als sonst kamen, wirklich auffällig anders als sonst.
Eine nicht so schöne Erinnerung ist, als uns einmal die am Vortag zubereitete Suppe sauer geworden ist. Das ist uns ein einziges Mal passiert, dass innerhalb kürzester Zeit alles neu gekocht werden musste. Jeder hat geschaut, was kann er wo besorgen und unterstützend helfen. Und am Ende haben wir es wirklich geschafft zum Mittag zu servieren und alle waren froh und glücklich.
D: Auf jeden Fall eine schöne Erinnerung bezüglich des funktionierenden Teamgeistes.
R: Ja, wir verstehen uns einfach gut, können uns aufeinander verlassen und zwischendurch machen wir uns mal einen Tee, einfach um runter zu kommen; das Ganze ist ja ehrenamtlich und soll Freude machen.
B: Ja und das spürt man deutlich, dass ihr euch die Zeit füreinander nehmt selbst zu genießen, neben all den Herausforderungen.
D: Ich glaube ohne das würde man das auch nicht so lange machen. Schließlich habt ihr ja nächstes Jahr Jubiläum.
B: Was würdest Du aus deiner Perspektive sagen, hat sich das Thema Einsamkeit über die Jahre verändert?
R: Ja ich habe schon das Gefühl. Meiner Meinung nach gab es früher die Einsamkeit, die auf Grund von Verlusten beispielsweise entstanden ist. Heute ist da aber noch, ich nenne sie mal emotionale Einsamkeit, hinzugekommen. Die trifft auch jüngere Menschen.
D: Ja das stimmt. Es gibt tatsächlich verschiedene Formen von Einsamkeit. Akut können plötzliche Verluste sein durch Trennungen oder Tod beispielsweise. Wenn sich das ganze aber chronifiziert, kann ein Teufelskreis entstehen aus dem man nur schwerer herauskommt.
R: Ja ich habe das Gefühl, die fühlen sich wie gefangen. Die Menschen möchten eigentlich Kontakte, aber haben nicht die Kraft oder den Mut. Es besteht eine große Diskrepanz zwischen dem, was sie können und möchten.
D: An dieser Stelle würde ich gern einmal auf das neue Angebot der Gemeinde Steinhagen hinweisen, dass genau hier ansetzen möchte. LIANE-Lebenshilfe im Alltag neu entfalten- möchte Bürgerinnen und Bürger darin unterstützen aus diesem Zustand wieder heraus zu finden. Und das wiederrum geht mit solchen Angeboten, wie beispielsweise denen im Haus der Begegnung. Steinhagen hat da ein sehr großes Angebot verschiedener Akteure, über die immer wieder informiert werden sollte.
B: Das Thema Einsamkeit ist ja sehr breit und wir könnten noch lange weitersprechen. Aber, um einen Abschluss zu finden, was würdest Du den Lesern gern noch mitgeben?
R: Ich bin immer für das Miteinander. Das ist der Schlüssel zu allem. Es ist so wertvoll, was alles in der Gemeinde Steinhagen angeboten wird. Und man kann sich nur wünschen, dass viele Menschen diese Angebote wahrnehmen und es viele Menschen gibt, die aufpassen und schauen, was ist so in meinem Umfeld (Verwandte, Nachbarn, …) los. Also, dass man nicht nur sagt, dort gibt es folgendes Angebot, sondern wollen wir da nicht mal zusammen hingehen.
D: Ein schönes Schlusswort liebe Renate. Ganz vielen Dank für die Schilderungen deines Erlebens und für deine Zeit.